Auf Maulbeerbäumen sitzt es sich nicht sehr bequem

Biblische anstößigkeiten

 

 

160 Seiten. 19cm. Gebunden. 242gr. Patmos Verlag, Düsseldorf, 1996. ISBN 3-491-77979-0

 

"Abel, der zweitgeborene Adamssohn war alles andere als ein Hätschelkind. Schon das Theater, das seine Mutter um den Älteren veranstaltete, ließ dem Kleinen kaum noch eine Chance. Und dann der Name: ein Windhauch, ein Nichts. Stiefkind und Anhängsel. Mehr war für Abel nicht drin." Susanne Krahe vertritt das Prinzip von "Freiheit und Frechheit", wenn es um Nach- und Umdichtungen biblischer Geschichten und Motive geht. In Ihren biblischen Anstößigkeiten erfaßt die Autorin die Gestalten aus der Bibel wie mit einer modernen Kamera: Adam, Kain und Abel, Noah, Maria Magdalena, Pilatus... - und nicht zuletzt Jesus. Die Personen gewinnen neue Konturen, oft genug anstößige. Die "literarischen Exegesen", wie die Autorin Ihre Texte nennt, sind keine leichte Kost. Auch erbaulich sind sie nicht. Doch vielleicht gerade deshalb sind sie Offenbarungen für die Leser, die sich von herkömmlichen Verkündigungsformen distanzieren. Eine mitreißende Lektüre.


Rezensionen

Neuer Blick auf die Heilige Schrift

Susanne Krahe, Auf Maulbeerbäumen sitzt es sich nicht sehr bequem, Biblische Anstößigkeiten. Patmos. 160 Seiten. 29,80 DM

Das Konzept der literarischen Exegese, das Susanne Krahe im Anschluß an die narrative Exegese entwickelt, ist so neu nicht: Sie erzählt die biblischen Texte mit Hilfe von Verfremdungen, Perspektiven- und Zeitwechsel nach. Grundsätzlich macht eine solche Lektüre aufgeschlossenen Bibelkennern Freude. Krahe führt in eine spannende Auseinandersetzung mit biblischen Texten - meines Erachtens zum Beispiel sehr gelungen in der Zachäusgeschichte »Zach«. Wieweit dieses Buch in Gemeindegruppen Anklang finden wird, hängt wohl davon ab, ob die Kreise die Anstößigkeiten - gerade bei ekelerregenden Beschreibungen - ertragen, ohne sie als Blasphemie zu empfinden. Manches kann durch die Exegese erklärt werden, zum Beispiel der nach Fisch stinkende Gott El in Jakobs Kampf am Jabbok. Aus diesem Grunde hätte ich mir einen Abdruck der biblischen Texte, eventuell auch Erläuterungen im Nachwort für die weniger biblisch versierten Lesenden gewünscht; denn gerade die will das Buch ja ansprechen.

Bettina von Kienle in Publik-Forum 14, 97/7


Susanne Krahe, Auf Maulbeerbäumen sitzt es sich nicht sehr bequem. Biblische Anstößigkeiten. Patmos Verlag, Düsseldorf 1996.160 Seiten.
Susanne Krahe, Blinden-Blick. Reisen in das beschädigte Leben. Patmos Verlag, Düsseldorf 1996.198 Seiten.

[...] Susanne Krahes Ansatz in Auf Maulbeerbäumen sitzt es sich nicht sehr bequem ist den Intentionen Walter Neidharts durchaus verwandt. Aber sie geht insofern einen Schritt weiter als Walter Neidhart, als ihre Erzählungen literarischen Anspruch erheben und einlösen.

Viele der programmatischen Sätze sind bei Neidhart und Krahe identisch: die Betonung der Notwendigkeit exegetischer Vorarbeit, die Orientierung am überlieferungsgeschichtlichen Prozeß, die Inanspruchnahme der Freiheit zum Weitererzählen, die Hinwendung zum Hörer. Sicher würde auch W. Neidhart Susanne Krahes Satz unterschreiben: "Mehrere Symptome beweisen, daß naive Nacherzählungen biblischer Texte keine Chance mehr haben" (S.138).

Nicht zufällig geht Susanne Krahe bei der Erläuterung ihrer Absicht von Thomas Manns Josefs-Roman und Stefan Heyms David-Roman aus. Sie sind so etwas wie Wegweiser ins gelobte Land der Literarisierung oder Poetisierung von Theologie. [...] Vor diesem Hintergrund ist Krahes Kritik an der narrativen Theologie zu sehen. Bei aller Anerkennung, daß hier ein erster Schritt aus der verwissenschaftlichten, unkommunikativen Sprache heraus gegangen wird, bleibt das Unbehagen: "Narrative Exegese soll der Geschichtswissenschaft auf die Sprünge helfen, nicht dem literarischen Anspruch" (S.146). [...]

"Literarische Exegese", wie sie Susanne Krahe ins Spiel bringen möchte, "bekennt sich ... entschieden zu dem engen Schulterschluß mit der Literatur. Neben dem (theologisch)-wissenschaftlichen Anspruch steht der literarische, und zwar gleichberechtigt. Dichterische Freiheit und Frechheit mit ihren variantenreichen stilistischen Ausdrucksmitteln sind nicht nur Mittel zum Zweck, sondern werden in ihrem Eigenwert gewürdigt, zugelassen und hermenautisch integriert. Dahinter steht die Überzeugung, daß Sprache transzendent ist und weit über ein enges, dem Historismus verhaftetes Kommunikationsmodell hinaus Wahrheit, Erkenntnis und Anteilnahme vermittelt. [...]

Susanne Krahes Texte lösen ihre eigene Forderung ein. Mehr kann man dazu nicht sagen, denn wenn man sie hier auszugsweise wiedergäbe, würde man sie zerstören. Ob über Adam, über Kain und Abel oder über Zacharias oder Pilatus dies sind eigenständige literarische Formungen, die in ihrer Sprache evozieren, was biblische Bildsprache für die Alten (möglicherweise, vermutbarerweise) geleistet hat.

Susanne Krahes Konzept lautet, auf eine Kurzformel gebracht und in meinen Worten: Reproduktive Information kann nicht leisten, was in literarisch-poetischer Sprache sagbar ist. Wollte man daran noch zweifeln, muß man das andere Buch der Autorin zur Hand nehmen: Blinden-Blick. [...]

Gerd Otto in Praktische Theologie 33, 98/1