Symbiose

Regie: Renate Heitzmann

Produktion: DLR Berlin (1996)


Rezensionen

Überzeugend

 

Die bekannte Metapher, daß nur der Speer, der die Wunde schlug,

sie auch zu heilen vermag, formuliert ein Problem, das Susanne

Krahes Hörspiel im doppelten Sinne thematisiert: Nicht nur handelt

es vom Schneiden in den menschlichen Körper, der modernen

Chirurgie, sondern es vollzieht im Medium der Literatur, in der

Reflexion der Verwendung, auch den Heilungsprozeß nach. Es geht um

die subjektive Seite der Transplantationsmedizin, die Geschichte

einer jungen Frau, die lernen muß, mit einer neuen Niere zu

leben. In der aktuellen Debatte um die ehtische und juristische

Verantwortbarkeit von Transplantationen wird diese Dimension

meistens vergessen. Das Hörspiel "Symbiose" arbeitet diesem

Vergessen und Verdrängen auf sensible Weise entgegen, in dem es

dem transplantierten Organ eine Stimme verleiht. Ein paradoxes

Selbstgespräch, in dem sich die Frau mit ihrer neuen Niere wie mit

einem Anderen unterhält und sich ihm befreundet, Verkörperung der

entfremdeten Erfahrung, die die Transplantation bedeutet,

Literatur als Therapie.

Gegen die sachliche Beschreibung des Chirurgen und seiner

wissenschaftlichen Terminologie setzt die Autorin kontrastiv die

Zweifel und Ängste der Betroffenen. Der Arzt spricht von Statistik

"Organpotential", erklärt die Abstoßungsreaktionen und das

Immunsystem; die junge Frau aber denkt über den Toten nach, dessen

Organ sie aufnimmt, und beschreibt die Veränderungen ihres Lebens,

neue Chancen und Freiheiten.

Die Thematik hätte leicht zu Schwulst und Pathos verführen

können, aber Krahe findet den leicht schwebenden Ton der Ironie,

der auch das Groteske der "Symbiose" festhält. Vor allem wenn es

um die wiedergefundene Lust am Essen geht, die kulinarischen

Vergnügungen, die die Niere erlaubt, kommt der Humor zu seinem

Recht. Wenn sich am Ende die Frau mit ihrer Niere auf eine Reise

nach Hawai macht, um dort die neue gewonnene körperliche Freiheit

genießen, ist das fast so etwas wie ein Happy End. Renate

Heitzmann (Regie) hat in die Leerstellen des spannungsreichen

Textes schrille Geräusche eingeblendet, die den leiblich Schmerz

der Operation andeuten, der sich in der Sprache nicht mehr

abbilden läßt. Der cool sachliche Sprachgestus des Arztes

kontrastiert mit der gebrochen-empfindsamen Stimme der Patientin

und den aufmüpfig-ironischen Äußerungen der Niere. Ein nicht nur

aktuell brisantes, sondern auch künstlerisch in jeder Hinsicht

berzeugendes Hörspiel.

21.2.97 Jochen Rack / FK