2001 habe ich für mein Hörspiel "Lisabetha" den Robert Geisendörfer Preis, den Medienpreis der evangelischen Kirche erhalten. Auf dieser Seite können Sie die Begründung zur Preisverleihung lesen. Näheres über den Robert Geisendörfer Preis erfahren Sie auf der offiziellen Webseite.
Ein weiterer Hörfunkpreis 2001 geht an die Autorin Susanne Krahe und den Regisseur Gottfried von Einem des Hörspiels "Lisabetha"
Das Programm wurde von der Hörspiel-Redaktion von Radio Bremen eingereicht. Verantwortlicher Redakteur: Holger Rink, den ich hier herzlich begrüßen möchte. Natürlich freuen wir uns immer auch darüber, wenn ein Intendant seine Preisträger zur Verleihung begleitet - Herr Dr. Glässgen, auch Ihnen ein herzliches Willkommen.
Die Erstsendung war am 28. Mai 2000 bei Radio Bremen. Den Preis nehmen die Autorin Susanne Krahe und der Regisseur Gottfried von Einem entgegen.
In der Hörspieldramaturgie von Radio Bremen waren zunächst Sabine Breitsameter und bei der Realisation Holger Rink mit einem Hörspielstoff befasst, der wesentlich umfangreicher war als die der Produktion zugrunde liegende Manuskriptfassung. Die von den Dramaturgen erarbeitete Verdichtung des Textmaterials, die Beibehaltung oder Streichung von Nebenrollen, ihr konsequentes Vertrauen auf die Wirkung eines gekürzten und somit höchst stringenten Textes sind eine redaktionelle Leistung, die die Jury ausdrücklich hervorheben will.
Das Alter kann listig gemanagt werden, widerspenstig auch oder mit einer cleveren Mixtur von Tapferkeit und Wehklage. In diesem Hörspiel beherrscht eine selbstbewusste Frau mit weisem Witz und offensiver Ironie die Szene: "mit meinen 97 Jahren habe ich das Sterben verpasst" - meint die Hauptfigur Lisabetha: "na, sicher habe ich Altersbeschwerden. Aber ich bin daran gewöhnt. Meine Sonne geht einfach nicht unter...."
Lisabetha macht sich mit scharfem Blick lustig über die Welt, die sich um die Alten aufbaut und sie fürsorglich einschnürt, gewinnt pfiffig Abstand vom Betrieb der Seniorenheime, entzieht sich widerborstig der Herablassung der Aktiven. Sie weiß trotzdem sehr wohl, was Todesnähe nach 100 Jahren Leben heißt.
Der Alltag des Alters wird von der übrigens erblindeten und dabei eigentümlich scharfsichtig gewordenen Autorin Susanne Krahe kurzweilig und schlagfertig erzählt und von dem Regisseur Gottfried von Einem unterhaltsam und eindringlich inszeniert.
Die Kultur des Hörspiels - ein genuines Element des Radios - scheint sich, gemeinsam mit dem ganzen Nah- und Begleitmedium Hörfunk wieder zu beleben und neu zu erstarken. Ihre Kraft verdankt sie dem dramaturgischem Aufbau und der ungekünstelten Überzeugungskraft der Stimmen. Eindrucksvoll besonders die lakonische Weisheit von Gisela Trowe, die der Hauptfigur gleichsam aus der Seele spricht: In ihr wird die ganze lakonische Widerborstigkeit der Lisabetha laut. Eine halbe Stunde unterhaltsame Einübung in unverkrampfte Selbstbehauptung.
- Frau Trowe, wir freuen uns ganz besonders darüber, dass Sie mit nach Mainz kommen konnten - und wir begrüßen Sie sehr herzlich -
Der Preis geht an die Autorin Susanne Krahe, die in diesem Hörspiel, wahrscheinlich mit innerer Konsequenz, dem gesprochenem Wort und dem Hörsinn eine sensible Aufmerksamkeit widmet - und - Gottfried von Einem, einer der großen und anerkannt konsequenten, weil stets dem Stoff vertrauenden Hörspielredakteure in Deutschland.
Er hat in seiner Inszenierung deklamatorischem Pathos keinen Raum gegeben; statt dessen läßt er sanft-grimmigen Humor und leise Zwischentöne zu. So zeigt er in seiner Regiearbeit mit der brillianten Sprecherin Gisela Trowe einen dynamischen Entwicklungsprozess fern jeden Klischees - es sind die leisen und nur hin und wieder zornigen Töne einer durchaus nach außen gerichteten, sich aber nie aufdrängenden Innerlichkeit, die diese Produktion vor anderen auszeichnen: Im Sinn einer Authentizität, die nicht Fiktion sondern Leben widerspiegelt.
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)