Regie: Jörg Schlüter
Produktion: WDR (2001)
Erstsendung: Mittwoch, 3. Januar 2001 in WDR 3
Ein Drehbuchautor reist nach Amerika, "dem Land der tausend
Augen", auf der Suche nach Ideen für einen Film. Doch er trifft nur
auf die längst aus Hochglanzfotos und Katalogen bekannten Bilder -
bis er auf eine Blinde und ihre Begleiterin stößt und sicher ist,
seinen Film gefunden zu haben.
Erzählt wird die Geschichte eines Filmprojekts über die
Blindheit, bei der die einzelnen Produktionsschritte - Recherche,
Gespräche, Skriptideen, Kamera-Aufnahmen, Ton-Aufnahmen etc. -
vorgeführt werden. Neben den zahlreichen Details, die im Zuge dieses
Projekts erfahren werden ("Späterblindete hören nie auf, in Bildern
zu denken"), sind es die vielen Versuche, Blindheit zu
visualisieren, das richtige Bild, die richtige Einstellung zu
finden, was meistens misslingt. Auch die entsprechenden Töne können
ins Klischee abgleiten, aber im Bereich der Klänge nähern sich die
Sehenden den Blinden: Jeder muss hier aus einer gleichsam blinden
Position heraus sein Bild aus Geräuschen zusammensetzen. Mit den
beurteilenden Kommentaren der Blinden, ist eine weitere Erzählebene
eingeführt, die schließlich auch über die besondere Beziehung der
Blinden zum Radio und zum Hörspiel Auskunft gibt.
Aus dem Programmheft 1/2001 WDR Seite 66f
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)