110 Seiten, DM/sFr 16,80/öS 123, Originalausgabe, ISBN 3-579-00999-0 GTB 999
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Organtransplantationen - heute Medizinische Routine und gesellschaftliche Normalität. Doch was bedeutet es für einen Menschen, wenn er das Organ eines Fremden in sich aufnimmt? Susanne Krahe läßt ihre Leser teilhaben an einer faszinierenden Reise durch die lebesgeschichtlichen, psychologischen und philosophischen Tiefen und Untiefen dieser Grenzerfahrung Transplantation: von chronischer Krankheit über Todesnähe bis hin zu einer geschenkten neuen Lebenszeit. Transplantation: Was bedeutet es, das Organ eines fremden Menschen in Körper, Denken und Handeln zu integrieren? Ein sensibler Erfahrungsbericht über das Leben »zu zweit« von literarischer Virtuosität! Susanne Krahe, geboren 1959, Theologin und Autorin, lebt seit 1991 mit zwei Spenderorganen
Wenn sich Patient und Arzt nicht verstehen, fehlt es oft an der Compliance. Bei vier Prozent der Nierentransplantierten kommt es deshalb zu Abstoßungsreaktionen. Für den Arzt gibt es Regeln im Umgang mit Transplantierten - aber kann er sich vorstellen, was ein Betroffener fühlt? Als Lektüre empfohlen sei hier das Buch "Adoptiert: Das fremde Organ". Die Autorin Susanne Krahe lebt und spricht mit ihrer neuen Niere - mal als Freund und Lebensretter, mal als Feind, der ihr Schmerzen, Übelkeit bereitet. Und sie diskutiert mit dem toten Spender, von dem sie erst ein völlig falsches Bild hat, bis sie erfährt, dass sie mit der Niere eines 14-Jährigen weiterleben darf.
Man spürt die Zerrissenheit, Zweifel, Dankbarkeit - genauso durcheinander, wie sie die Autorin wohl empfand. Es sind Zweifel, die auch viele Ärzte plagen: "Dürfen wir unsere Artgenossen ausweiden, wenn unsere eigenen Reserven verbraucht sind?" fragt Krahe. Aus ihrer sehr persönlichen Sicht lautet die Antwort "ja". Schließlich freundet sie sich mit ihrem "Fremd-Körper" an: "Ruhig geleite ich ihn durch die Erschütterungen seiner Pubertät." sh
Susanne Krahe: "Adoptiert: Das fremde Organ", Gütersloher-Verlagshaus, Gütersloh 1999, GTB 999, 110 Seiten, 16,80 DM, ISBN 3-579-00999-0
Aus: Selecta/Wissenschaft, Praxis, Politik. Wiesbaden, 16. Februar 2000
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)