Würzburg: Echter,
160 Seiten. 20,5 x 12,3cm.
Gebunden.
ISBN 3-429-01935-4
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"Die Letzten werden die Ersten sein". Mit diesem Satz wird bildhaft umschrieben, was man auch als das Umkehrungs- oder Überraschungsprinzip in der Bibel bezeichnen kann: Plötzlich stehen die eingefahrenen Ordnungen auf dem Kopf; passiert das, womit niemand rechnen konnte; werden alle Urteile, die auf Moral, Sitte und Gerechtigkeit zu basieren scheinen, in den Rang des Vorläufigen verwiesen; überholt Gottes eigene Moral, seine anders geartete Gerechtigkeit und barmherzige Freiheit unsere gültigen Maßstäbe.In bildkräftiger, packender Sprache folgt Susanne Krahe den Spuren dieses zentralen Motivs quer durch die Überlieferungsgeschichten der Bibel. Dabei wird deutlich: Dieser Satz - vielfältig vorbereitet in den alttestamentlichen Geschichten - gehört zu den Grundpfeilern urchristlichen Gedankenguts, ja man kann ihn geradezu als "Evangelium in Reinform" verstehen. Nie blieb er unwidersprochen, aber nirgendwo sonst zeigt sich der Heilswille Gottes vitaler als hier.
Über dieses Buch:
Was ist eigentlich christlich? Die Frage klingt banal, ist aber gar nicht so einfach zu beantworten. Wenn wir "christlich" sagen, meinen wir meistens die gutbürgerlichen, womöglich preußischen Tugenden. Fleiß, Pflichtbewußtsein, Nächstenliebe, Frömmigkeit usw., all die Eigenschaften der Gutmenschen scheinen Jesus und der biblischen Botschaft zu entsprechen. Irrtum! sage ich. Als das, was das Besondere am Christlichen ausmacht, habe ich das "Umkehrungsprinzip" entdeckt. Bei Jesus und in der gesamten biblischen Tradition stehen die etablierten Werte auf dem Kopf. "Die Letzten werden die Ersten sein" - und umgekehrt.
Susanne Krahe: Die Letzten werden die Ersten sein. Das Umkehrungsprinzip in der Bibel, Echter Verlag, Würzburg 1997 160 Seiten, 29DM.
"Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf": Diese Verheißung einer wunderbaren Verwandlung, bei Jesaja zu lesen und in den Evangelien auf Jesus bezogen, ist das Geheimnis des Glaubens, im Alten wie im Neuen Testament. Die unbändige Hoffnung, daß in den Augen Gottes "alles gut" ist, weil er "alles neu macht", hat zu jeder Zeit Menschen ermutigt, inmitten ihrer Leidens- und ihrer Freudengeschichte den Gott ihres Lebens zu suchen. "Die Letzten werden die Ersten sein" - Susanne Krahe entdeckt dieses jesuanische Wanderlogion als eine "evangelische Regel", die geradewegs zur Mitte der Frohen Botschaft führt.
Mit großer Leichtigkeit und großem Ernst, ohne umständliche Diskussionen und ohne plakative Vereinfachungen, in einer Fülle von exegetischen Skizzen und theologischen Momentaufnahmen stellt das Buch eine Vielzahl von biblischen Schlüsseltexten und Schlüsselszenen als Kommentar zum Jesuswort vor: die Geschichte Davids wie die des Petrus, die Rolle der Osterfrauen wie die der vergessenen Stammütter Israels, die paulinische Kreuzestheologie wie vor allem die Gleichnisse und Wundergeschichten Jesu - und nicht zuletzt, alles zusammenfassend, sein Tod am Kreuz und seine Auferweckung durch Gott.
Das Gegenwort "...und die Ersten werden die Letzten sein" wird nicht unterschlagen. Wenn die Hoffnung der "Letzten" wahr werden soll, müssen sich die Verhältnisse ändern - zuerst im eigenen Herzen. Das "Umkehrungsprinzip" Gottes setzt auf seiten der Menschen Umkehr voraus - weg von der Fixierung auf die eigene Größe und den Kampf um die ersten Plätze, hinein in die Freiheit der Kinder Gottes und das Vertrauen auf Gottes Gnade, daß die Armen die ganze Seligkeit genießen dürfen, weil ihrer das Reich Gottes ist.
Susanne Krahe hat Evangelische Theologie in Münster studiert und eine Dissertation über die Psalmen begonnen - bis sie 1989 erblindete. Seitdem lebt sie als freie Autorin in Unna. Ausgestattet mit Scanner und Sprachcomputer, unterstützt von einem Mitarbeiter, den sie selbst finanzieren muß, erschließt sie sich den Bibeltext und die Fachliteratur. Gestützt auf die neue Technik, hat sie gelernt, auf eine ganz neue Weise literarisch produktiv zu sein. Sie schreibt Hörspiele und Bücher.
1991 hat sie im Stil einer "docu-fiction" den besten Paulus-Roman der letzten Jahre vorgelegt ("Das riskierte Ich", erschienen bei Kaiser). In ihrem jüngsten Werk stellt sie sich als Autorin vor, die fundierte Sachkenntnis mit lebendiger Sprache verbinden kann.
Das Buch ist aus einer SFB Hörfunkserie hervorgegangen, die biblische Sprichworte erklären sollte. Susanne Krahe erzählt, daß sie eher aus Zufall gerade auf "ihren" Spruch gekommen ist: ein besonders glücklicher Fund, der zu einem wunderbaren Buch geführt hat - ein Musterbeispiel geistlicher Schriftlesung auf der Grundlage eines hellen Verstandes und einer großen Liebe zur Heiligen Schrift.
Thomas Söding im Rheinischen Merkur, 26.12.1997
Susanne Krahe, Die Letzten werden die Ersten sein, Das Umkehrungsprinzip der Bibel. Echter. 160 Seiten. 29,- DM
Der titelgebende Spruch wirkt heute genauso provozierend wie in früheren Epochen. Stellt er doch die in unserer Ellbogengesellschaft herrschenden Regeln geradezu auf den Kopf. Dabei identifizierte sich Jesus selbst mit den Letzten. Die theologisch versierte Autorin spürt die biblischen Zusammenhänge auf, in denen dieser Satz eine Rolle spielt, wobei sie sich in umgekehrter Reihenfolge an den drei wichtigsten christlichen Quellen orientiert, an Jesus, Paulus und am Alten Testament. Das Umkehrungsprinzip prägte nicht nur die Evangelien. Auch Paulus war von ihm durchdrungen. Als Nebengedanke tauchte es schon in den Geschichten des Alten Testaments auf. Susanne Krahe erzählt - in einer lebendigen, zupackenden und bildhaften Sprache - die entsprechenden Gleichnisse und Erwählungsgeschichten aus der Bibel, die in unserer kirchenfernen Zeit viele sicher gar nicht mehr kennen. Bis heute sei der Satz, meint Krahe, eine Zumutung für die Gläubigen. Aber wenn es nur nach menschlichen Maßstäben zuginge, hätten die Letzten kaum eine Chance, Erste zu werden.
Ursula Homann in Publik-Forum 5.6.98
Die Letzten werden die Ersten sein
Nach einem Paulus-Roman, nach den aufregenden Auslegungen "Auf Maulbeerbäumen sitzt es sich nicht sehr bequem" und nach ihrem "Blinden-Blick - Reisen in das beschädigte Leben" legt Susanne Krahe, selbst blind, jetzt ihr neues Buch vor: "Die Letzten werden die Ersten sein". Nicht in der üblichen chronologischen Folge, sondern zuerst an Jesus und seinem Wirken, danach an Paulus und schließlich im Alten Testament untersucht sie in zahllosen Varianten dieses "Umkehrungsprinzip in der Bibel" - so der Untertitel - auf außerordentlich eindrucksvolle Weise.
Es ist faszinierend, wie viele Entdeckungen auch der Leser macht, der sich für einigermaßen kundig hält, dem also die Paradoxien in der Bibel grundsätzlich bekannt sind. Krahes Buch hilft schließlich dadurch zum Verständnis, dass es das Prinzip enthüllt. Das Prinzip nämlich, das sich aus dem biblischen Gottesbild ergibt: "Weil Gott die umfassende Wirklichkeit ist, weil er die Tiefe und die Umarmung, weil er aus seiner Höhe bis hinab in die Abgründe reicht, kann er Letzte zu Ersten und erste zu Letzten machen." (Seite 157) Wie in allen ihren Büchern findet Susanne Krahe auch hier die zupackende, fast pralle Sprache, mit der sie viel wagt.
Susanne Krahe: Die Letzten werden die Ersten sein - Das Umkehrungsprinzip in der Bibel. Echter Verlag, Würzburg, 160 Seiten, 29 DM.
W. B. in Unsere Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Westfalen und Lippe, 7.11.99
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)