Der Geschmack von Blau

Was ich weiß, seit ich nichts mehr sehe

Autobiografie

Gebundene Ausgabe - 264 Seiten
2011 - Neukirchener Verlagsgesellschaft
ISBN: 978-3761558591

 

 

 

"Kann so ein Leben anders als schrecklich sein? Ich selbst konnte es mir sehenden Auges nie anders vorstellen als jenes schwarz gekleidete Schreckgespenst.Es ist anders. Aber wenn ich heute sage, dass mein erstes Leben nur eine Vorbereitung und erst das zweite erfüllt war, schütteln die Leute den Kopf."

 

 


Rezensionen

Der Geschmack von Blau

Susanne Krahe ist Theologin, Jahrgang 1959, und lebt heute als Schriftstellerin und Hörfunkautorin in Unna. Ihr Buch Der Geschmack von blau ist etwas für hartgesottene Leser. Susanne Krahes Biografie behandelt mehr als nur ihre Krankengeschichte, doch sowohl physisches als auch psychisches Leid und persönliche Kränkungen ziehen sich von der ersten bis zur letzten Seite durch das Buch. Eindrucksvoll verzichtet die Autorin auf jeden auch noch so kleinen Feelgood-Faktor. Der erste größere Schicksalsschlag ereilt sie durch den Unfalltod ihres jüngeren Bruders schon in ihrer Kindheit. Die Eltern werden durch den Tod ihres Sohnes aus der Bahn geworfen und das Familiengefüge verändert sich. Susanne Krahe erlebt die Trauer und Überforderung ihrer Eltern als ein Alleingelassenwerden. Keiner der Erwachsenen kümmert sich darum, wie sich der Tod des Bruders auf die Schwester auswirkt. Susanne Krahe fühlt sich unverstanden und meint, die Leerstelle, die ihr Bruder hinterlassen hatte, mit ausfüllen zu müssen. Einige Jahre später, mit 18 Jahren, bekommt sie Diabetes und ihre Karriere als chronisch Kranke und Dauerpatientin nimmt von nun an ihren Lauf. Auch ich wusste genau, was Diabetikern blühte, wenn sie ihre Diäten nicht einhielten, und weil ich das wusste, weil diese erbarmungslose Folge (…) Gefäß- und Nervenschäden, Verkalkung der Adern, Nierenversagen, Erblindung (…) mir ständig im Nacken saß und Angst machte, bestellte ich noch ein Eis, noch ein Stück Torte. Nach ihrem Abitur beginnt sie ein Studium der Theologie. Von nun an werden Gott und Krankheit ihr Leben prägen. Diabetes, langsame Erblindung, eine Operation am Oberschenkelmuskel, der ihr eine schwere Gehbehinderung einbringt, Nierenversagen, Dialyse, Organspende … am Ende des Buches kennt jeder die Botschaft: Leben bedeutet Leiden, Krankheit und Tod – oder wie die Popgruppe „Die Ärzte” textet: „Jeden Tag stirbt ein Teil von dir.” Das überwiegend intellektuelle Verhältnis zu Gott und Religion macht der Theologiestudentin das Leben allerdings auch nicht einfacher. Der Geschmack von blau lässt den Leidensweg Christi bis zur Kreuzigung wie einen Sonntagsausflug wirken. Blasphemisch, aber die Wahrheit. Eins muss man Susanne Krahe auf jeden Fall lassen, sie hat ein sadomasochistisches Vergnügen, die Unzulänglichkeiten von Gott, ihren Eltern, von Freunden und vom Leben bis ins kleinste Detail zu sezieren. Natürlich kommen auch die guten und schönen Seiten, die das Leben hin und wieder mit sich bringt, aufs Papier, aber nur in ganz leisen Tönen, man hört meist nicht mehr als ein Hintergrundsrauschen. „Muss man so was lesen? Reicht es nicht, wenn man weiß, dass es solche Schicksale gibt?” fragte mich eine Bekannte. Nun, wer sich für das Wunder des Lebens interessiert und auch gerne mit Gott in die Bütt steigt, der wird von Susanne Krahe gut bedient. Ich verachte sie, diese frommen Gläubigen, und ich hätte damals nichts dagegen gehabt, wenn sie an der zuckersüßen Pampe erstickt wären, die sie für eine frohe Botschaft hielten. Eine wirklich frohe, befreiende und nahrhafte Botschaft setzte sich aber doch eher aus Vollkornkost zusammen, nicht aus leicht verdaulichen Speisen. Der Geschmack von blau – ist wie Müsli ohne Milch: trocken, schwer zu schlucken und noch schwerer zu verdauen. 

 

Aus "Pädagogischer Mitarbeiter" 2/2011

Pädagogischer Mitarbeiter im Internet http://www.blista.de/aktuelles/blista-news/ausgaben/201

 


Susanne Krahe (Jahrgang 1959) ist fünfzig Jahre alt, als sie mit der jetzt vorliegende Geschichte ihres Lebens beginnt. Das mag kein Alter für eine Autobiographie sein, – ausser man gilt – wie die Autorin über sich berichtet – als „Überlebenskünstlerin“. Susanne Krahe, Theologin und Schriftstellerin, ist aufgrund von Diabetes vor der Publikation ihres Paulusromans „Das riskierte Ich“ (1991) erblindet. Ich selber bin seit Geburt auf einem Auge sehschwach. Ich wage mich deshalb mit dieser Rezension an einen für mich heiklen Punkt; zudem habe ich Hemmungen, als Sehende über den Text einer Erblindeten zu schreiben. Diese Hemmungen möchte ich nicht verschweigen, brauche es sicher auch nicht, denn Aufrichtigkeit halte ich gerade in der Rezension eines Textes für angebracht, in dem Ehrlichkeit gewagt wird. Krahe macht sich in ihrer Autobiographie sichtbar. Sie schreibt abwechslungsreich und authentisch, bleibt jedoch diskret. Sie beschreibt trotz ihrer Zurückhaltung keine Welt, die in Ordnung ist. So berichtet sie von dem Holzlöffel, der bei ihr Zuhause durchaus als ‚pädagogisches’ Mittel diente. Krahe stellt die Eltern nicht an den Pranger. Sie erläutert ihre Offenheit: „Als ob nur geprügelt worden wären. Nein, das sind wir nicht. Aber meine Erinnerungsarbeit hat sich auf Traumata verlegt. Sie bürdet sich Altlasten auf, weil das die einzige Möglichkeit ist, sie ein für alle mal abzuwerfen.“ (91) Ich weiss nicht, ob man sich von traumatischen Gewichten vollständig befreien kann. Aber das ist nicht so wichtig. Wesentlicher scheint mir, dass Krahe zeigt, wie sie sich an dem abarbeitet, was ihr zugemutet wurde. Sie beginnt mit Einblicken in die Idyllen ihrer Kinder- und Schulzeit. Damals lebte sie in einem Familienhaus, “in dem sich Geschichten halten...Noch nach Jahren riecht es in jedem Raum nach ehemaligen Bewohnern, nach ihren Krankheiten, ihrem Sterben...“ (53) Was sich unheimlich anhört, muss sich nicht so angefühlt haben. Krahe führt ihr Lesepublikum auch zurück in eine unspektakuläre Kindheit der westdeutschen Provinz mit normalen ‚Mini-Traumatisierungen’. Dabei jedoch bleibt nicht. Krahes Bruder verunglückt mit neun Jahren tödlich, Die Geschichte seiner hinterbliebenen Schwester gleicht fortan einer Kette traumatischer Wendungen bis hin zum Nierenversagen. Man kann sie aber auch als Geschichte des Ergreifens von Chancen lesen. Dazu zählen unterschiedliche, immer gerade rechtzeitige Innovationen wie Organtransplantationen oder die Entwicklungen der Computertechnologie. Als nicht zu unterschätzende Ressource muss die Begegnung mit Krahes Physiotherapeutin gelten, die über eine rein professionelle Beziehung hinauswuchs. Krahe stellt sich in ihrer Autobiographie wiederholt anthropologisch/theologischen Grundsatzfragen So, wenn sie denen, die sich mit der Frage der Ungerechtigkeit Gottes befassen, entgegenhält, ob sie denn noch nie froh waren über die ‚Ungerechtigkeit’ eines Gottes, der auf jene Nachlässigkeiten, die sie zu verantworten haben, nicht direkt reagiert (siehe 228). Die Geschichte von Krahes Leben handelt auch von Versöhnung, etwa wenn sie zuletzt von der Kooperation mit ihrer Mutter erzählt. Sie würdigt den Esprit, den diese im Umgang mit der Blindheit ihrer Tochter entwickeln konnte. Ich habe durch „Der Geschmack von Blau“ von einer unübersehbar selbstbewussten, aber auch selbstkritischen Frau erfahren. Ihr Buch ist besonders empfehlenswert für die, die den Mut haben, von der Gefährdung des Lebens auch ‚gut behüteter’ Menschen zu lesen.

Dr. Elisabeth Grözinger, Basel


 Aus "Psychotherapie & Seelsorge" 03/2011


In schnörkelloser Ehrlichkeit stellt sich Susanne Krahe ihrem Leben. Sie beschreibt anschaulich ihr Elternhaus in dörflicher Umgebung am Rande des Ruhrgebiets, ihre Aufbrüche ins weite Leben, ihren Ehrgeiz und ihre Talente, die zu großen Hoffnungen berechtigen. Dann Abstürze, den plötzlichen Unfalltod ihres jüngeren Bruders, Einsamkeit und Verlust, ihre Krankheit Diabetis, ihre vollständige Erblindung an ihrem 30. Geburtstag. Noch nicht genug, sie wird Dialysepatientin und bekommt zwei neue Organe, die ihr Leben Nummer 2 bescheren. Das alles klingt nach schwerer Kost, zweifellos, doch umso erstaunlicher , wie leicht es gelingt, der Autorin auf ihrem Weg zu folgen. In beeindruckender Offenheit nimmt Susanne Krahe den Leser mit in ihr Leben, in tiefste Verzweiflung und Zerrissenheit, die sich als Stufe in ein neues Leben erweist, das sie dankbar annimmt. Die Theologin wird Schriftstellerin. Sie bleibt Reisende nicht nur im Luxusdampfer auf den Weltmeeren, sondern zeigt uns mit dem Blindenstock Wege auf, die sie auf neue Art zu erfahren lernt. Die Größe des Buches liegt in seiner Wahrhaftigkeit, die exemplarisch zeigt, dass Versöhnung mit sich selbst und dem Leben auch unter extremen Bedingungen möglich werden kann, wenn man Abstand zu sich herstellen kann. Autobiographisches Schreiben im besten Sinn erfüllt hier diesen Anspruch. Susanne Krahe kommt sich selbst auf die Spur und lehrt sich und ihre Leser begreifen, wie die Haltung zum eigenen Leben maßgeblich wird, wenn alles um einen herum in Trümmern liegt. Trotz aller Einschränkungen erwachsen neue Möglichkeiten im unendlichen Blau des großartigen Projekts Leben.

 

Agnes Doering, Schriftstellerin aus Unna

 


Ein erfülltes Leben. Susanne Krahe hat mit 50 Jahren ihre Autobiogragie geschrieben. In "Der Geschmack von Blau" beschreibt sie schmerzlich ehrlich ihr Leben als blinde Theologin und Autorin. "Zwei Möglichkeiten blieben mir: Mich aufzuhängen oder zu überleben. Zum Aufhängen fehlte mir der Mut." So lakonisch und selbstironisch beschreibt Susanne Krahe in ihrer Autobiographie die Reaktion auf den Verlust ihres Augenlichts. Die Theologin und Autorin erblindete mit 30 Jahren. Der Grund: Diabetes, die kurz vor ihrem Abitur diagnostiziert wurde. Erkrankung und Blindheit stellen das Leben der jungen Frau auf den Kopf. Alle Pläne und Zukunftsvorstellungen werden über den Haufen geworfen. Das gesamte Leben muss neu organisiert werden. Susanne Krahe beschreibt, wie sie in. dieser Zeit ins Elternhaus im Dorf ihrer Kindheit zurückkehrt und nicht mehr aus dem Bett kommt. Vollkommen überwältigt von der Blindheit. Kaum mehr wohlgemeinten, aber hilflosen Besuchen von Freunden zugänglich. Nach dieser Phase erobert, sie sich das Leben zurück. Die Autorin lebt heute in Unna in einer Wohnung. Hilfe hat sie von einer Assistentin. Aber sie ist selbstständig. Der Weg dahin war lang. Geboren in Unna, verbringt Susanne Krahe die Kindheit in einem kleinen westfälischen Dorf. Das Elternhaus ist seit langer Zeit im Besitz der Familie ihrer Mutter, der Vater eingeheiratet. Im Haus lebt auch die Großmutter. Beide Frauen sind dominant, hart aber herzlich, westfälisch bodenständig. Ein erstes Trauma erleidet das Kind Susanne, als der jüngere Bruder bei einem Verkehrsunfall stirbt. Ein Trauma auch für die ganze Familie, das bis heute nachwirkt. Dann, wenige Jahre später, die Diagnose „Diabetes". Noch kann Susanne Krahe die Folgen nicht ab¬schätzen. Aber ihr Leben ist fortan von Krankheiten geprägt. Sie studiert Theologie, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und beginnt eine Dissertation. In dieser Lebensphase trifft sie die Erblindung. Schon erahnt, aber verdrängt. Die wissenschaftliche Karriere ist vorbei. Eine neue tut sich auf. Susanne Krahe hat immer schon geschrieben. Gedichte, kleine Geschichten, teilweise veröffentlicht. Ihr neues Leben und die damit verbundenen Erfahrungen verarbeitet sie in Geschichten und Hörspielen. Ihr erstes „richtiges" Buch handelt vom Apostel Paulus: Auch ein von Krankheit geplagter Mensch. Die Veröffentlichung gibt ihr Auftrieb. Doch wirft die Krankheit sie wieder zurück. Besonders, als die Nieren immer mehr versagen und Susanne Krahe Dialysepatient wird. Ihr Leben ist akut bedroht. Dann das Wunder. Ihr wird durch eine Nieren- und Bauchspeicheldrüsentransplantation ein neues Leben geschenkt. Auch diese Erfahrung verarbeitet sie schriftstellerisch. Dabei setzt sie sich durchaus zwiespältig mit dem Thema auseinander. Auch die Erinnerung an den toten Bruder kommt wieder zum Tragen, denn der Organspender war ein 14-jähriger Junge. Für Susanne Krahe schließt sich ein Kreis, denn nach dem Unfall des Bruders war der Gedanke an Organspende schon einmal lebendig. Damals und auch als Theologin war sie dagegen. Und dann ermöglicht die Transplantation ihr das Weiterleben und einen neuen Anfang. Wer Susanne Krahes Buch liest, macht die Bekanntschaft einer sperrigen Frau. Sie macht es sich und anderen nicht leicht. Sie hinterfragt, ist kritisch, fordernd. Aber ihre hohen Ansprüche stellt sie ebenso an sich selbst. Sie ist mit sich schonungslos ehrlich, doch auch selbstironisch. Sie ist neugierig, reist gerne, hält Vorträge, schreibt Bücher und Radiobeiträge. Und auf keiner Seite erscheint sie als arme, bemitleidenswerte Blinde. Bemerkenswert.


 Aus "UK" 18.09.2011