Gebundene Ausgabe - 266 Seiten
1991 - Gütersloher Verlagshaus
ISBN: 3-579-02275-X
Paulus, ein Mann der Widersprüche, hat sich mit seinem anstrengenden Leben noch jeder Vereinnahmung entzogen. Er blieb stets ein Mann des Streites. Wer war dieser Mann? Susanne Krahe zeichnet in ihrem biographischen Roman kein fertiges Bild von Paulus, zu dem er hätte sagen können: Das bin ich!, sondern sie macht die Auseinandersetzung des Paulus mit dem, was er nicht ist, zu ihrem Thema. Das geschieht nicht in historischer Absicht, sondern um in dieser Auseinandersetzung des Paulus mit sich selbst das menschliche Drama der Suche nach dem eigenen Ich darzustellen.
"Das riskierte Ich. Paulus aus Tarsus" ist mein erstes richtiges Buch: ein biographischer Roman oder, wie man die Gattung auch bezeichnen könnte, docu-fiction. Der alte Paulus hat uns Bibellesern leider nur ziemlich trockene und schwer verständliche Briefe hinterlassen. Aber hinter diesen spröden Dokumenten steckt ein Mensch, hinter der Korrespondenz mit seinen Gemeinden eine Geschichte. Wer war dieser Mensch Paulus? Wie verliefen die Hauptstränge in seiner Geschichte, die zur Weltgeschichte geworden ist?
Natürlich lassen sich viele Details seiner Biographie nicht mehr rekonstruieren. Wo die historische Forschung an ihre Grenzen kommt, nimmt in meinem Roman die Fantasie die Zügel der Paulusgeschichte in die Hand.
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)