Paperback - 136 Seiten
2005 - Echter Verlag
ISBN: 3-429-02669-5
"Christen streiten sich nicht!" - Von wegen! Während dieser kategorische Standpunkt mit Verweis auf die Urkirche schon in mancher Gemeinde die kritischen Geister zum Schweigen gebracht hat, offenbaren die biblischen Schriften eine Fülle von Streitfällen - und Ansätzen, damit umzugehen.
Die Palette ist bunt. Sie reicht von Konflikten eher privater Natur (Kain und Abel), Konflikten im Kontext von Recht und Tradition (Jesus und die Sabbatvorschriften), über solche um Glaubensfragen (Petrus gegen Paulus) bis hin zu Auseinandersetzungen mit Gott selbst (Hiob).
"Die Wahrheit des Evangeliums", so Susanne Krahes Fazit, "ist es wert, um sie zu streiten; aber sie ist überlegen genug, um nicht auf Biegen und Brechen ihr Recht auch durchsetzen zu müssen."
Krahe, Susanne: Aug' um Auge, Zahn um Zahn? Beispiele biblischer Streitkultur. Würzburg: Echter Verlag, 2005. 136 S.; 12,90 €
Das Streiten gehört sicher nicht zu den Eigenschaften, mit denen sich Christen und die christlichen Kirchen in unserer Gesellschaft in besonderer Weise auszeichnen. Weder sind sie wegen der Sachlichkeit ihrer Auseinandersetzungen bekannt, noch ragen sie durch eine bewusst ausgebildete, den ganzen Menschen mit Sinnen und Verstand ganzheitlich umfassende Streitkultur hervor. Die evangelische Autorin Susanne Krahe, die seit einigen Jahren trotz und wegen ihrer Erblindung durch Bücher und Radiosendungen bekannt wurde (siehe auch www.susanne-krahe.de), geht in ihrem Buch der Frage der Streitkultur in der Bibel nach.
Insgesamt 50 Bibeltexte stellt sie den Leserinnen und Lesern vor, skizziert den jeweiligen Konflikt und beleuchtet die unterschiedlichen Wege, wie die handelnden Personen in ganz unterschiedlicher Weise mit den Kontroversen umgehen. Geschickt teilt sie die Bibeltexte, die am Schluss des Buches nochmals mit genauen Fundstellen zusammengetragen sind, in vier Kapitel ein, weil sie verschiedene Dimensionen von biblischen Auseinandersetzungen differenziert darstellen will. Es geht um persönliche Konflikte (von Kain und Abel bis zu Paulus und Barnabas), um Streit wegen Fragen von Recht, Ordnung und Tradition (vom Ehestreit zwischen Sara und Abraham bis zum Wettlauf der Jünger am Ostermorgen), um Glaubensfragen (von Hiob und seiner Frau bis zum Streit zwischen Paulus und Jakobus) und um die Auseinandersetzungen mit Gott (von Abrahams Bitte für Sodom bis zu Jesu Gebet im Garten Gethsemane).
Allein diese Aufzählung widerlegt den gerne im erzieherischen Kontext benutzten Satz "Christen streiten sich nicht!" Vielleicht zeigen diese, und sicherlich viele andere in der Bibel enthaltenen Lebensszenen, die Vielfalt und die Notwendigkeit, sich an Weggabelungen mit divergierenden Meinungen auseinanderzusetzen und seine Entscheidung zu treffen. Und dies ist der rote Faden, den die biblischen Textstellen in der Zusammenstellung von Susanne Krahe bieten: Streiterzählungen werden weder vermieden noch verdrängt, nicht alle Konflikte können einvernehmlich gelöst werden und die Bibel zeigt uns eine Vielzahl von Konfliktlösungsvarianten. Biblische Erzähler und Autoren nehmen das Phänomen des Streits unter Menschen ernst. Sie nehmen das Ringen miteinander positiv auf, betten es in den Alltag der Menschen untereinander und mit Gott ein und zeigen Lösungsvarianten, die bis heute zur Nachahmung anregen können. Dieses aufzuzeigen ist das besondere Verdienst dieses Buches. Es macht Mut, häufiger in der Bibel zu lesen, um Lösungsmodelle kennen zu lernen. Vielleicht trägt dazu vor allem die zurückhaltende Darstellung von Susanne Krahe bei, die nicht zusätzlich wertet oder analysiert, sondern mit den besonderen Fähigkeiten eines erblindeten Menschen den Texten nachspürt und ihre Tiefe herausarbeitet. (Borromäusverein)
(Als "Religiöses Buch des Monats" benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.)
Nicht blind von Beruf – Zum Tod der Schriftstellerin Susanne Krahe
Eine vielversprechende Theologin erblindet. Sie bekommt eine Niere transplantiert und eine Bauchspeicheldrüse dazu. Sie wird unsanft aus ihrer wissenschaftlichen Karriere gerissen und findet sich mit Anfang Dreißig unter mütterlicher Aufsicht in ihrer alten Heimat wieder. Was nun? Zu ihrem und unserem Glück kann sie schreiben, konnte es schon vor ihrer Erblindung. Aber jetzt sieht sie klarer. Und tiefer. Ihr durch keine glatte Oberfläche mehr zu täuschender Blick dringt bis in die Randbezirke des menschlichen Lebens vor. Dort kämpfen Menschen auf der Intensivstation ums Leben oder warten im Pflegebett auf die „Fütterung“. Dort wird eine Blinde wie ein lästiges Paket abgestellt und eine Gehbehinderte zum Klotz am Bein.
Susanne Krahe macht ihr Leben zum Material, begutachtet das hinter und vor ihr Liegende mit kühlem Blick, formt um, lässt weg, erfindet hinzu und wird so zur Schriftstellerin. Das Schönreden und Schönfärben ist ihre Sache nicht. Wer gerne fromme Märchen oder wundersame Heilungsgeschichten liest, ist bei ihr an der falschen Adresse. Wer aber keine Angst vor „Reisen in das beschädigte Leben“ hat, wird mit Texten von höchster literarischer Qualität und Intensität belohnt. Dabei formt das Blindsein dieser Autorin eine ganz eigene, die Wirklichkeit mit Händen ertastende Sprache von frappierender Anschaulichkeit. Da steht ein Fragezeichen mitten im Raum, ihm wird der Kopf abgebissen. Da klebt ein Blick an den Brillengläsern fest. Da hinterlässt das "Verpacken" einer traumatischen Erfahrung „Schnitte, die die seidenen Kordeln beim Festzurren in die Fingerkuppen ritzen.“
Auch die Bibel war für Susanne Krahe eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Aus den biblischen Geschichten machte sie moderne Literatur, indem sie die Geschehnisse auf überraschende Weise aktualisierte und verfremdete. Durch diese „literarische Exegese“ wird ein frischer Blick auf scheinbar Bekanntes möglich. Der Evangelist Markus geht als zweifelnder Sucher auf die Reise, aus Rahel wird eine auf Rache sinnende Frau, während Jesus zum „defekten Messias“ mutiert, der seine Jünger durch stotternde Reden und spastische Zuckungen verunsichert. So hatten sie sich den Erlöser nicht vorgestellt.
Wer Susanne Krahe persönlich begegnete konnte erleben, wie geschickt sie manch täppische Befangenheit von uns „Augenmenschen“ auflöste und mit dem ihr eigenen Humor in ein angeregtes Gespräch verwandelte. Da hat sich eine aus ihrer „Dunkelkammer“ ins Freie geschrieben, da hat eine aus ihrem Leben Funken geschlagen, die in manche Nacht hineinleuchten. Wir können nur dankbar sein für dieses Geschenk.
Susanne Krahe ist am 20. August 2022 gestorben. Sie wurde 62 Jahre alt.
Nachruf von Carola Moosbach
erscheint am 1.11 im Magazin P&S (Magazin für Psychtherapie und Seelsorge)